Aus der Asche – KompassNatur Folge 5
19.07.2024: Allmählich verschwinden die Spuren des Waldbrands vom Sommer 2022. In den Richterschlüchten wird´s wieder grün – die Natur kehrt zurück. Und manches, was nachkommt, gab´s hier noch nie.
Wenn Annika Busse beschreiben soll, was sich seit dem verheerenden Waldbrand vor zwei Jahren in den Richterschlüchten verändert hat, benutzt sie ein Wort aus dem IT-Bereich: „Reset“. Ein kompletter Neustart des Systems. Das romantische Landschaftsbild von früher existiert nicht mehr. Vom Wald am Ausgang der Schlucht, zwischen Krinitzgrab und Roßsteig, sind kaum mehr als ein paar verkohlte Stubben übrig. Wo sich einst ein lauschiger Pfad im Halbdunkel der Fichten dahinschlängelte, liegt das Tal heute offen wie eine Braunkohlegrube in der prallen Sonne. Nur die tiefer gelegenen Teile der Richterschlüchte blieben vom Feuer verschont. Insgesamt gingen im sächsischen Elbsandstein 115 Hektar Wald in Flammen auf.
Doch damit endet die Geschichte nicht. Nach einer solchen Katastrophe dauert es meist nicht lange, bis neue Vegetation die entstandene Lücke schließt. Zehn Jahre vielleicht, höchstens 15. Längst hat die Natur in den Richterschlüchten begonnen zurückzuerobern, was ihr im Sommer 2022 verloren ging. Wer die Brandfläche heute besucht, findet sie an vielen Stellen überwuchert von saftigem Grün. Teils reicht einem das Gebüsch schon bis zum Hals. Überall recken sich junge Bäumchen zum Licht: Birken, Ebereschen, Buchen, Eichen, Kiefern und Fichten. Aus allen Ritzen sprießt neues Leben. „Nach so einem Ereignis kommt erstmal alles, was Samen hat“, sagt Annika Busse, die sich im Nationalpark Sächsische Schweiz um Forschungs- und Monitoringaufgaben kümmert. Alle paar Monate besucht sie die Brandflächen. Wie die Natur ihre Selbstheilungskräfte aktiviert, was sich dabei alles neu entwickelt und auf längere Sicht durchsetzt, ist eine spannende Frage. Und darum hat sich in den Richterschlüchten noch etwas anderes verändert: Das Tal ist heute ein riesiges Freiluftlabor für Wissenschaftler der unterschiedlichsten Fach- und Forschungsrichtungen.
Eine ungewohnte Situation auch für die Nationalpark- und Forstverwaltung von Sachsenforst. „Hier ist richtig was los“, sagt Annika Busse. Ein Dutzend Teams haben die Brandfläche ins Visier genommen: Experten für Nachtfalter, Spinnen, Grashüpfer, Vögel und Fledermäuse. Einige untersuchen die Ausbreitung von Pilzen. Andere sammeln Daten für eine Brandlastmodellierung. Wieder andere treiben Studien zum Mikroklima. Geländeparameter werden erfasst, Artenlisten erstellt. Für all das bietet der Waldbrand eine einmalige Chance. Auch die Nationalpark- und Forstverwaltung hofft auf neue Erkenntnisse. „Wir haben viele Wissenslücken“, lässt Annika Busse durchblicken.
Bis diese sich schließen lassen, werden noch viele Monate vergehen. Eine erste größere Auswertung ist frühestens 2025 zu erwarten. Schon jetzt zeichnet sich aber die eine oder andere Überraschung ab. Birke, Adlerfarn und Fingerhut gehören nicht dazu. Doch manches, was auf den Brandflächen nachkommt, wurde in der Sächsischen Schweiz noch nie nachgewiesen. So fanden die Wissenschaftler in den Richterschlüchten z.B. zwei Pilzarten, die bis dato unbekannt waren – Arrhenia bryophtora und Bryopistillaria clavarioides. Außerdem wurde eine äußerst seltene Käferart entdeckt: der schwarze Kiefernprachtkäfer – ein echter Waldbrand-Spezialist! Wie Studien zeigen, kann das Insekt eine Brandfläche aus einer Distanz von bis zu 80 Kilometern wahrnehmen, und es gehört zu den Ersten, die sich – schon bald nach dem Abklingen des Feuers – inmitten von Asche und noch glutheißen Baumruinen neuen Lebensraum erobern. Sogar eine Gottesanbeterin wurde inzwischen im Nationalpark gesichtet – ein Zuwanderer aus südlicheren Gefilden.
Gesamtökologisch sei ein Feuer keine Katastrophe, sagt Annika Busse. „Auch wenn es schon mal zwei oder drei Baumgenerationen dauern kann, bis da ein alter Wald draus wird.“ Die jungen Birken werden ein vergleichsweise kurzes Leben haben. Was danach kommt, lässt sich heute noch nicht sagen. Vielleicht wird hier mal die Buche dominieren – wie am Großen Winterberg. Oder es entwickelt sich ein buntes Durcheinander. Sicher ist nur: Die Natur kehrt zurück und spielt mit ihren Möglichkeiten. Und das soll sie ja auch im Nationalpark.
Text/Fotos: Hartmut Landgraf