Das Licht der Taschenlampe trifft in der Tiefe eines Felsspalts auf winzige hellgrün reflektierende Punkte: den Vorkeim des Leuchtmooses.
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21.10.2025

Kompass Natur Reihe 2, Folge 3 - Wenn´s unterm Felsen funkelt

Das Elbsandsteingebirge ist ein Moos-Paradies. Rund 500 Arten wachsen hier auf kleinstem Raum – mehr als anderswo in Deutschland. Eine kann sogar leuchten. Ein Biologe erklärt, warum.

Der Uttewalder Grund ist seit über 200 Jahren ein geradezu ikonischer Ort für Romantiker. Schon Caspar David Friedrich verewigte den Zauber der malerischen Schlucht im Elbsandsteingebirge 1801 in einem seiner berühmten Bilder. Als tiefe Scharte durchzieht sie das Gefüge der Felslandschaft, mit ihren feuchten moosgrünen Wänden – düster, kühl und geheimnisvoll wie ein vergessener Schlosskeller. Es fällt einem nicht schwer, sich darin etwas Märchenhaftes vorzustellen. Feenstaub zum Beispiel. Aber es überrascht schon, wenn ein ernsthafter Wissenschaftler wie Frank Müller tatsächlich danach sucht: nach winzigen, staubkorngroßen Lichtfunken, die aus verborgenen Winkeln und Felsritzen aufschimmern.  

Frank Müller ist Botaniker an der TU Dresden und beschäftigt sich mit einer der ältesten Pflanzenfamilien der Welt: mit Moosen. Die Sächsische Schweiz – besonders die ökologisch wertvollen Kernzonen des Nationalparks – sind für seine Forschungsrichtung das ideale Feldlabor. Hier gedeiht mancherorts auf kleinstem Raum ein Reichtum, der seinesgleichen sucht. Rund 500 Moosarten wurden in der Felslandschaft an der Elbe bislang nachgewiesen, weit mehr als die Hälfte aller in Sachsen bekannten Arten. Die schattigen und kellerkühlen Schluchten bieten den feuchtigkeitsliebenden Moosen gute Bedingungen. Im Uttewalder Grund können das auch Laien erkennen. Wir haben uns dort verabredet, um ein besonders zauberhaftes Exemplar zu finden: Schistostega pennata, zu Deutsch – das Leuchtmoos.

Eigentlich kommt Leuchtmoos gar nicht so selten vor in der Natur. Doch es ist winzig, schwer zu entdecken – und wirkt wegen seiner speziellen Überlebensstrategie wie ein kleines Wunder. Im Gegensatz zu anderen Arten bildet Leuchtmoos nämlich einen haarfeinen Vorkeim aus, in dem kugelförmige Zellen alles verfügbare Umgebungslicht wie in einem Prisma sammeln und gebündelt abstrahlen: auf jene Teile der Pflanze, mit denen das Moos Photosynthese betreibt. Es macht sich sozusagen selbst Licht. Dank dieses Tricks hat sich Leuchtmoos überall in den dunkelsten Ecken seine Nischen geschaffen, in die andere Pflanzen nie vordringen. Und deswegen gehört es auch zu den am häufigsten beschriebenen Moosarten. Oder wie Frank Müller sagt: „Es ist das Moos mit der längsten Literaturliste.“ 

Die Felsen im Uttewalder Grund atmen feuchten Dunst, die Luft ist satt vom Laubgeruch, hier und da hört man einen Tropfen fallen. Moose brauchen viel Luftfeuchtigkeit, weil sie keine Wurzeln ausbilden, sondern Wasser mit ihrer gesamten Blattoberfläche aufnehmen. Wegen dieser Eigenschaft gelten sie auch als Wegbereiter der Natur, besiedeln Felsen, Steine und karge Böden und schaffen anderen Arten dort eine Existenzgrundlage. Sie sammeln Nährstoffe aus der Luft und machen sie für das ganze Ökosystem nutzbar. Ihre Matten und Polster bieten zahlreichen Kleinstlebewesen ein Zuhause. Moose besiedeln öde Flächen oft als Erste und waren vermutlich vor 500 Millionen Jahren die ersten Pflanzen, die das trockene Land eroberten. Und tatsächlich: Im Uttewalder Grund sieht man, was sie bewirken. Dort haben sie ein kleines Naturparadies erschaffen! Ein Botaniker wie Frank Müller kann dort ohne viel Mühe Peitschenlebermoos und Wurmmoos entdecken, Arten, die anderswo in Sachsen nicht so leicht zu finden sind. „Es gibt auch echte Raritäten, z.B. ein Lebermoos namens Hygrobiella laxifolia (zu Deutsch: Feuchtmoos), das in Deutschland nur hier vorkommt – und dann erst wieder in den österreichischen Alpen, Skandinavien und auf den britischen Inseln“, sagt der Biologe. Nur das Leuchtmoos suchen wir zunächst vergebens.

Das ist kein Pech, sondern anscheinend ein Trend. Die kleinen Lichtgestalten sind auf dem Rückzug in Sachsen, das belegen Forschungsdaten. Für Müller ein Grund zur Sorge: Womöglich reagieren die Pflänzchen schon auf geringfügige Veränderungen ihres Lebensraums äußerst empfindlich. Zum Beispiel auf die Klimaerwärmung. Im Uttewalder Grund spielt noch ein anderer Faktor eine Rolle: Entlang des prominenten Malerwegs verrotten in manchen Felsnischen Taschentücher und anderer Müll. Sowas mag das sensible Leuchtmoos gar nicht. Endlich findet der Biologe, wonach wir suchen: ein schwaches Schimmern in einer handbreiten Scharte, kaum zu sehen fürs ungeübte Auge. Wir halten für einen Moment inne. Gottseidank – das Wunder ist noch da! Was wäre wenn…? Darauf hat Frank Müller keine Antwort. Ganz sicher aber würde dem Uttewalder Grund etwas fehlen.

Text/Fotos: Hartmut Landgraf

Mit freundlicher Unterstützung des Vereins der Freunde des Nationalparks