
Kompass Natur Reihe 2, Folge 2 - Bestens vernetzt
Pilze sind gesellige Typen. Manche bilden riesige Netzwerke und leben in Symbiosen mit Bäumen und anderen Arten. Wie die Natur davon profitiert, zeigt sich zum Beispiel nach einem Waldbrand.
Wer dieser Tage durch die Richterschlüchte wandert, wird sich die Augen reiben. Der große Waldbrand im Sommer 2022 hatte vom einstigen Fichtenwald zwischen Krinitzgrab und Roßsteig kaum mehr als ein paar verschmorte Stubben übriggelassen. Zurück blieb ein Tal voll verbrannter Erde, so schwarz und leblos wie eine Kohlegrube. Doch in nur drei Jahren hat sich das Bild hier komplett gewandelt:
Zwischen rußgeschwärzten Felsen wächst neuer Wald – üppig, kräftig und artenreich. Überall schießen junge Birken ins Kraut, manche sind schon mehr als mannshoch. Darunter wetteifern Ebereschen, Buchen, Eichen, Kiefern und Fichten um jedes verfügbare Sonnenlichtphoton. Es wirkt wie ein Wunder. Doch womöglich war hier ein heimlicher Helfer am Werk: ein kleines Kerlchen mit Klumpfuß und hellbraunem Hut, namens Gymnopilus decipiens.
Um etwas über dieses Geschöpf in Erfahrung zu bringen, muss man sich mit Leuten wie Alexander Karich und Heidrun Wawrok auf den Weg in die Richterschlüchte machen. Die beiden sind spezialisiert auf eine Gruppe von Lebewesen, die weder Tier noch Pflanze sind. Gymnopilus decipiens ist nämlich kein hilfreicher Waldwicht, sondern ein daumengroßer Pilz, zu Deutsch: der Brandstellen-Flämmling. Eine Art, die dem Feuer folgt. Hätte es 2022 den Waldbrand nicht gegeben, wäre er nicht hier. „Es ist auffällig, dass dieser Pilz immer nach Bränden auftaucht“, sagt Alexander Karich. Karich ist Mykologe von Beruf und forscht am Zittauer Institut der TU Dresden zu Pilz-Enzymen. Als die Nationalparkverwaltung die Brandstelle vor zwei Jahren zur Erforschung freigab, war ihm der Flämmling in den Richterschlüchten gleich aufgefallen. Damals wuchs er dort überall. „Ich hätte aber nicht gedacht, dass wir ihn auch jetzt noch hier sehen“, sagt der Biologe. Auch Heidrun Wawrok freut das. Sie pflegt und erfasst Funde aus der Sächsischen Schweiz in einer mykologischen Datenbank, die sachsenweit rund 5000 Arten auflistet – wichtig z.B. für Naturschutzfragen.
Viel ist noch nicht bekannt über den Feuerzwerg. Er taucht unmittelbar nach Waldbränden wie aus dem Nichts auf, besiedelt in kürzester Zeit große Flächen – und verschwindet dann wieder. Fachleute vermuten, dass er als Holzzersetzer und Pionierart eine Rolle bei der Wiederbewaldung spielt. Es gibt auch andere Brandstellenpilze – doch Gymnopilus decipiens hat vermutlich einen wichtigen Partner: Moos. Das Moos bindet Feuchtigkeit, die der Pilz zum Wachsen benötigt. „Pilze wiederum akkumulieren Nährstoffe und wirken der Erosion entgegen“, sagt Alexander Karich. Eine Win-Win-Situation.
Darin sind Pilze gut – viele sind bestens vernetzt! Viele Pilzarten haben ihren eigenen, speziellen Symbiose-Partner: Birkenpilze kooperieren mit Birken, Maronen mit Kiefern und Fichten. Ganz praktisch funktioniert das so: Über ihr feines, oft kilometerlanges Myzelgespinst im Boden treten Pilze überall in Kontakt mit dem Feinwurzelsystem von Bäumen und anderen Pflanzen und sorgen so für Austausch zwischen den Arten. Denn anders als Pflanzen können Pilze selbst keine Photosynthese betreiben, ihre Energie müssen sie daher aus organischen Quellen beziehen. Das tun sie nicht immer auf nette Weise – symbiotisch. Manche Pilze sind echte Parasiten, wie zum Beispiel Rostpilze oder der in der Forstwirtschaft gefürchtete Wurzelschwamm (Heterobasidion annosum), die ihren Wirt schädigen.
Doch es gibt eine Reihe von Arten, die sich – aus menschlicher Sicht betrachtet – recht gesellig und sozial verhalten. Die Pflanze liefert Zucker, der Pilz im Gegenzug Stickstoff und andere Nährstoffe. Fairer geht´s nicht. Damit nicht genug – womöglich wechseln bei diesem Geben und Nehmen nicht nur Nährstoffe die Seiten, sondern auch Nachrichten. Letzteres beginnt die Wissenschaft gerade erst richtig zu erforschen. Bekannt ist inzwischen, dass Bäume über ihren Netzwerk-partner Botenstoffe an ihre Nachbarn senden und sich auf diese Weise gegenseitig über den Zustand ihrer Umwelt informieren, das wurde experimentell nachgewiesen.
1997 veröffentlichte die kanadische Forstwissenschaftlerin Suzanne Simard eine Studie über das Zusammenwirken von Pilzen und Bäumen in der angesehenen Fachzeitschrift „Nature“. Der Beitrag unter dem Titel „Wood Wide Web“ löste eine Debatte aus, die bis heute andauert. Noch ist sich die Fachwelt uneins, wie dieser Stoff- und Informationsaustausch zu interpretieren ist – und was er bewirkt. Doch dass Pilze für den Stoffkreislauf und die ökologische Gesundheit der Wälder wichtig sind, gilt als weitgehend anerkannt.
Alexander Karich findet den Gedanken an ein „Internet der Wälder“ gar nicht so abwegig, rät aber zur Vorsicht: Der Begriff verleite zu einer allzumenschlichen und daher unpassenden Sicht aufs Thema. Kommunikation im Sinne eines Austauschs von Botenstoffen hält Karich für durchaus denkbar. Das bedeute aber nicht, dass Pilze und Pflanzen miteinander „reden“.
Text/Fotos: Hartmut Landgraf
Mit freundlicher Unterstützung des Vereins der Freunde des Nationalparks